Alex Nowitz: MUNDFUNDSTÜCKE: DAS KONSONANTENVOKABULAR

Über Jahrhunderte hinweg war die Vokalkunststimme davon geprägt, Vokale auszudehnen. Erst mit der vor etwas mehr als hundert Jahren einsetzenden DADA-Bewegung begann ein Prozess, bei dem diese Praxis kritisch hinterfragt wurde. Die Videokomposition ‚Mundfundstücke‘ greift diese Entwicklung auf. Anstatt neues Stimmmaterial zu ‚erfinden’, sind es die klanglichen Gegebenheiten einer Stimme und den sich daraus resultierenden Materialmöglichkeiten, die das Stück bestimmen, wobei auf Vokale verzichtet wird. Stattdessen werden nur die  Konsonanten des deutschen oder englischen Alphabets und dessen klangliche Ableitungen, wie z.B. Poplautklänge, die auf das ‚b‘ oder ‚p‘ zurückgehen, zur Materialschöpfung herangezogen. Was die visuelle Komponente der Videoaufnahme anbelangt, so ist die Gesichtstotale beschnitten, so dass der Fokus auf die Mundwerkzeuge gelegt wird und also nur der Mund sichtbar ist. All das, was möglicherweise von der Herstellung der Stimmklänge ablenken könnte, wie z.B. Augen oder der gestische Anteil durch Hände und Arme, ist ausgeschlossen. Im Laufe der Komposition werden zudem Videoschnitttechniken eingesetzt, die verschiedene Versionen der Live-Performance ineinander blenden, wodurch sich rätselhafte, ungewöhnliche ‚Mundlandschaften’ formen, und zwar sowohl visuell als auch auf der Hörebene.

Biografie des Autors:

ALEX NOWITZ (PhD)
Vokalperformancekunst – Komposition – Elektronische Musik – Instrumentenbau – Kunstforschung

Kurzbio

Alex Nowitz ist Komponist von Vokal-, Kammer- und elektroakustischer Musik, schuf zahlreiche Kammermusikstücke, zwei Orchesterminiaturen, zwei abendfüllende Opern (‚Traumnovelle’ nach Arthur Schnitzler, Staatstheater Braunschweig 2013; ‚Die Bestmannoper’, Theater Osnabrück 2006), multidisziplinäre Installationskonzerte (‚Wolfsgeheul’, fabrik Potsdam 2008; ‚Moving Tongues: Playing Space’, Reaktorhallen Stockholm 2018) sowie Musiken für Tanz- und Sprechtheater. Letztere führten zu Zusammenarbeiten mit Künstlern wie der Choreografin Marie-Josée Chartier in Toronto (‚Screaming Popes’ 2004) oder mit Thomas Ostermeier an der Schaubühne Berlin (‚Ein Sommernachtstraum’ 2006-2010, ‚The City’ [Martin Crimp], ‚The Cut’ [Mark Ravenhill] beide 2008. Alex Nowitz ist ebenso Gesangskünstler, Tenor, Countertenor und Pfeifvirtuose, der im Laufe seiner Karriere mit zahlreichen Musikern, Sängern und Komponisten aus verschiedensten stilistischen Bereichen zusammenarbeitet, zuletzt innerhalb der ‚Eroica-Dialoge’ zusammen mit dem Jazzpianisten Michael Wollny in der Alten Oper Frankfurt am 19.9.2019. Nowitz entwickelte etliche Soloformate, in denen er eine am STEIM in Amsterdam entwickelte Live-Elektronik einsetzt, vorrangig das gestengesteuerte und berührungsempfindliche Instrument ‚Strophonion’. Er trat auf zahlreichen, international renommierten Festivals auf, z.B. Warschauer Herbst oder wie Anfang des Jahres 2019 beim Eröffnungsfestival ‚100 jahre bauhaus’ in der Akademie der Künste Berlin. Im Februar verteidigte er erfolgreich seine Doktorarbeit ’Monsters I Love: On multivocal arts’ an der Universität der Künste in Stockholm, wo er den akademischen Doktorgrad in den Künsten in Performance- und Medienpraxis mit Spezialisierung auf Oper erhielt. Im Frühjahr 2020 erhält er das dreimonatigeAufenthaltsstipendium in der Villa Aurora in Los Angeles.

CV

Geb. 23. Juni 1968, Buch am Erlbach, (Niederbayern, Deutschland)

Akademische Ausbildung:

  • Von 1989 bis 2000 Studium von Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Jazz an der LMU München (inkl. Vordiplom) und TU Berlin, sowie klass. Gesang, Komposition und Jazz an der Universität Potsdam und an der SUNY in Potsdam/NY (USA)
  • Hochschulabschluss als Diplommusikpädagoge in Gesang, Elementarmusikpädagogik und Musiktheorie/Komposition (2000, Universität Potsdam)
  • 2019: Doktortitel – PhD in Fine Arts in Performative and Mediated Practices with Specialistation in Opera, verliehen von der Stockholm University of the Arts.

Wichtige Veröffentlichungen und Auftritte:

  • Seit 1991 zahlreiche Auftritte und Konzerte als Vokalperformance-Künstler, international (Europa, Nordamerika, Korea, Australien, Neuseeland) auf Festivals für Neue Musik (z.B. Warschauer Herbst), Improvisation (z.B. Berliner Festspiele/Jazzfestival) und Jazz (z.B. Leibziger Jazztage), seit 2008 meist auch mit selbst entwickelter Live-Elektronik (Stimmflieger oder Strophonion), gefördert durch STEIM in Amsterdam.
  • Zahlreiche Kompositionen und Aufträge im Bereich von Kammer- und Vokalmusik (Ensemble Mosaik Berlin, 2016; LUX:NM Berlin, 2015; Maulwerker Berlin, 2010; Curious Chamber Players Stockholm, 2012; Kammerakademie Potsdam, 2011, 2003, 2000 [Persius Ensemble]; work-in-progress Berlin, 2010; Musikfestpiele Sanssouci Postdam 2009, Orchesterakademie der Staatskapelle Berlin, 2006; Vladimir Stoupel, 2009, Sabine Vogel/Fl., 2008, 2005; Magda Mays/Pno., 2008, 2006; Salome Kammer/Ges., 2004; Peter Rainer/Vln., 2008, 2003, 2000; u.v.a.; ebenso elektroakustische Musiken und zwei Orchesterminiaturen (Polizeiorchester Brandenburg 2014).
  • ‚Die Bestmannoper’ (135 Min., UA Theater Osnabrück, 2006) über Nazi und Massenmörder Alois Brunner und Nazijäger Serge Klarsfeld.
  • ‚Ein Sommernachtstraum’, sowohl Komposition als auch Mitwirkung als Sänger-Schauspieler/Musiker in einer Theaterproduktion in der Regie von Thomas Ostermeier (2006-2010, Schaubühne Berlin und international, insg. 70 Vorstellungen).
  • ‚Homo Ludens’ (CD, 2010, nowitz-records).
  • ‚Traumnovelle’, Oper nach Arthur Schnitzler (90 Min., UA Staatstheater Braunschweig 2013).- ‚Designing and Playing the Strophonion: Extending vocal art performance using a custom digital musical instrument’, Veröffentlichung des Artikels in eContact! 18.3 — Sonic DIY: Repurposing the Creative Self (December 2016), Montréal: Communauté électroacoustique canadienne / Canadian Electroacoustic Community.
  • ‚Moving Tongues: Playing Space’, Solo für Stimme, Strophonion und Video (95 Min., UA Reaktorhallen Stockholm, 2019).
  • ‚Zur vielstimmigen Stimme’, Veröffentlichung des Artikels in Musik & Ästhetik, 23, 1/2019, hg. Cl.-St. Mahnkopf (Stuttgart: Klett-Cotta, 2019), 91-95.
  • ‚Monsters I Love: On Multivocal Arts’, Veröffentlichung eines dokumentierten Kunstforschungsprojektes in Stockholm University of the Arts, 3 (2019) https://www.researchcatalogue.net/view/492687/559795/0/0.
  • ‚Unleashing the Machined Voice’, Eine Lecture-Performance im Rahmen von ‚DARE’ – 3. Internationale Konferenz zu Kunstforschung und Gilles Deleuze am Orpheus Institute in Ghent (Belgien): 9.-11. Dezember 2019.

Preise, Arbeits- und Aufenthaltsstipendien (chronologisch rückwärts):

  • 2020: Residenzstipendium der Villa Aurora in Los Angeles (3 Monate).
  • 2014-2019: PhD-Programm an Stockholms Konstnärliga Högskola (Universität der Künste Stockholm).
  • 2014: Cité Internationale des Arts Paris, Residenzstipendium (6 Monate) verliehen vom Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung Deutschland Bernd Neumann.
  • 2014: interStip des Landes Brandenburg zum Bau eines Ersatz-instrumentes für das Strophonion am STEIM in Amsterdam für den professionellen Einsatz im Konzertalltag.
  • 2013/2012/2010/2009: EMS Stockholm (Elektronmusikstudion), vier Residenzstipendien, jeweils zwischen 2 bis 4 Wochen lang.
  • 2013: Künstlerhaus Lukas Ahrenshoop, Residenzstipendium (1 Monat)
  • 2011/12: Künstlerhäuser Worpswede, Residenzstipendium (2 Monate); unterstützt vom Land Niedersachsen.
  • 2010-2011: Artist-in-Residence am STEIM in Amsterdam (Studio for Electro-Instrumental Music), ein Zweijahresprogramm zur Forschung und Entwicklung eines neuen elektronischen, gestengesteuerten Instrumentes: das Strophonion.
  • 2009: Erster Preis der ECPNM (European Conference of Promoters of New Music) in Gothenburg: Europäischer Wettbewerb für Kompositionen und Interpretationen von Musikprojekten mit Live-Elektronik – UA von Minotaurus, für verstärkte Stimme und gestengesteuerte Live-Elektronik während des finalen Konzerts im Rahmen der ISCM (International Society of New Music) World New Music Days 2009.
  • 2007-2009: Artist-in-Residence am STEIM in Amsterdam (Studio for Electro-Instrumental Music): Zweijahresprogramm zur Forschung und Entwicklung eines neuen elektronischen Instruments: der Stimmflieger.
  • 2007: Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg (1 Monat).
  • 2007: Banff Arts Centre in Alberta/Canada: Leighton Studio Program (3 Wochen).
  • 2006: Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, Residenzstipendium (4 Monate), gefördert vom MWFK des Landes Brandenburg.
  • 2005: Banff Arts Centre in Alberta/Kanada: Leighton Studio Program (6 Wochen).
  • 2005: Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg (6 Wochen).
  • 2004/2005: Konrad-Adenauer-Stiftung/Berlin (Else-Heiliger-Fonds), Arbeitsstipendium (12 Monate).
  • 2004: Stiftung KulturFonds Berlin/Brandenburg, Arbeitsstipendium (6 Wochen).
  • 2004: Aufführungspreis der Ersten Rheinsberger Opernwerkstatt für Komponisten: Alles wird gut, eine Szene aus: Die Bestmannoper.
  • 2003: Künstlerhaus Lukas Ahrenshoop, Residenzstipendium (1 Monat).
  • 2002: Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, Residenzstipendium (4 Monate) gefördert vom MWFK des Landes Brandenburg
  • 1994: Zweiter Preis des Pfeiffwettbewerbes Pfeifen im Walde Berlin

Interpreten und Ort:

  • Idee, Komposition und Vokalperformance: Alex Nowitz Videoaufnahme und Editing: Oscar Löser
  • Audioaufnahme: Roy Carroll
  • Das Stück wurde Anfang 2017 fertiggestellt und erstmalig im Oktober 2017 im Rahmen der ‚intersonanzen 2017‘ Potsdam, dem Brandenburgischen Fest der Neuen Musik, einer Öffentlichkeit vorgestellt.
  • Das Stück wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Universität der Künste Stockholm und der fabrik Potsdam.

 

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