Christina Cordelia Messner: nothing – the rest is silence
Christina C. Messner: nothing – the rest is silence – ein operattle / Text: W. Shakespeare
Visualisierung durch Verzahnung von Musik und Bewegung: Die von Messner entwickelte Form des operattle entstand aus dem Versuch, typische Merkmale einer Oper auf das Allerwesentlichste zu reduzieren, um eine sehr kleine minimalistische, dramatische Form zu schaffen.
Das Stück nothing – the rest is silence entstammt einem offenen Zyklus von 11 operattles nach Textzitaten von W. Shakespeare (2016). In nothing wird der Versuch der Reduktion des Materials sozusagen auf die Spitze getrieben. Wieweit kann man gehen, ohne auf Spannung, auf das Erzählen einer „Geschichte“, auf das Gerüst einer „Handlung“ zu verzichten? In nothing es geht ausserdem um die optimale Durchdringung von Musik und Bewegung, um Visualisierung des Klangs oder Rhythmus durch die Bewegungen des Musikers selbst.
Rainer Nonnenmann (Musikwissenschaftler und -journalist, Köln) schreibt über das Stück:
„Christina C. Messners neueste operattles sind Winzigkeiten, zumal im Vergleich mit der sonstigen Größe von Musiktheaterwerken. Der Minimalrekord von Darius Milhauds Opéras minute ist damit gebrochen… Die Stücke basieren jeweils nur auf einzelnen Versen aus Dramen und Komödien des englischen Dichters (W. Shakespeare). Doch trotz ihrer extremen Kürze sind es Opern: Abhängig von den jeweiligen Themen und Zitaten gestaltete Messner alle Details sprechend. Für eine bestimmte Expression oder Aussage genügt ihr oft nur eine einzige Geste, Pause, Tonfolge oder ein bestimmter Klang, Akkord und Rhythmus. Messners bisher elf operattles bilden keinen geschlossenen Zyklus mit linearer Erzählung und durchgängiger Dramaturgie…Vielgesichtig schillern (sie) zwischen großem Opernpathos, barocker Allegorie, komödiantischer Leichtigkeit, operettenhaftem Schwung, lyrischer Verdichtung und konkreten Einlassungen auf reales Zeitgeschehen und Politik… Entscheidend aber ist, dass große Themen wie Liebe, Hass, Eifersucht, Mord, Macht, Angst, Gier und Wahn durch das Miniaturformat von Christina C. Messners operattles nicht aus der Ferne wie durch ein Opernglas betrachtet werden, sondern uns hoch verdichtet nahe kommen, als ereignete sich das von William Shakespeare vor über vierhundert Jahren beschriebene Glück und Leid hier und jetzt unter uns.
Das Stück nothing – the rest is silence ist nur ein Hauch von Nichts. Es erfordert lediglich zwei Mitwirkende, besteht überwiegend aus Pausen, wenigen Kopfbewegungen und noch weniger Tonhöhen – exakt fünf an der Zahl –, die nur wenige Male wiederkehren. Dennoch kann gerade dieses Stück große Spannung erzeugen… Noch bevor ein einziger Ton aus dem wortkargen Dialog von King Lear und seiner Tochter Cordelia (I. Akt, 1. Szene) erklingt, wirkt die Situation wie gelähmt von spannungsvoller Sprach- und Beziehungslosigkeit. Die konflikthaft geladene Stille wird schließlich gebrochen durch Cordelias Worte „Nothing, my lord“, die wie mit echter oder gespielter Gleichgültigkeit ohne Tonhöhenwechsel gesungen werden. Der andere Akteur reagiert erst verzögert mit einem dafür umso überraschender sich aufschwingenden Septimsprung, als frage er entgeistert nach: „Nothing?“ Daraufhin treffen sich kurz die Blicke der Partner, bevor sie wieder aneinander vorbei sehen und nach bekräftigendem „Nothing!“ beide den Kopf rhythmisch und immer schneller zu wenden beginnen, so dass regelrechtes Kopfschütteln entsteht. Auge in Auge stellen beide Nihilisten endlich einvernehmlich fest: „nothing“. Doch der Einigkeit widerspricht die Sekundreibung a/h, die sich noch zur kleinen Sekunde a/b verschärft: Gesteigerte Dissonanz als Ausdruck von zugespitztem Dissens. Der Dialog zerfällt sofort wieder, denn was ließe sich anderes über das Nichts sagen als nichts? Bei Hamlet heißt es: „Der Rest ist Schweigen“; und bei Ludwig Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Ensemble INTERSTELLAR 2 2 7: Dorrit Bauerecker, Barbara Schachtner, Köln
UA 19. Mai 2017 Theater der Keller, Köln
Videoaufnahme/Schnitt: Susann Martin, Köln
Biografie
Christina Cordelia Messner (* 1969) lebt und arbeitet in Köln. Sie absolvierte ihr Musikstudium von 1991–1996 in Würzburg mit Hauptfach Violine bei Prof. Max Speermann (Bartholdy-Quartett) und Wahlfach Komposition bei Prof. C. Wünsch. Eine zusätzliche Ausbildung in Improvisation erhielt sie bei Harald Kimmig in Freiburg.
Christina Cordelia Messner beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Verknüpfung unterschiedlicher Sparten und dem Erforschen interdisziplinärer Ansätze. Sie nahm an zahlreichen Projekten, Konzerten und Kursen im Bereich Neue Musik, Performance und Improvisation teil und arbeite mit Künstlern unterschiedlicher Sparten zusammen u.v.a. mit Noritoshi Hirakawa (New York), im improvisierenden F’orkestra Freiburg mit Steve Lacy und John Tchicai, Irene Kurka (Düsseldorf), Dorrit Bauerecker (Köln) Dominik Susteck (Köln), Fabian Hemmelmann (Bonn), Julia Mihaly (Frankfurt), Felix Leuschner (Frankfurt), Daniel Gloger (Köln), Susanne Blumenthal (Köln), Marie T. Martin (Köln), Ning-Ensemble (Oslo).
Sie hat zahlreiche Programme selbst entwickelt, organisiert und produziert und war häufig selbst als Performerin beteiligt. Ihr besonderes Interesse gilt der Verknüpfung von Klang mit Bewegung oder bühnenspezifischen Parametern sowie der Entwicklung choreographierter Kompositionen.
Seit 1994 werden die Kompositionen von Christina C. Messner aufgeführt unter anderem beim Festival 8 Brücken Köln, Festival SPOR Dänemark, Festival opening Trier, in der Tonhalle Düsseldorf, in St. Peter Köln, anlässlich der „Muziek Biennale Niederrhein“, im Rahmen des Rhein-Erftzyklus, bei weiteren Festivals und Wettbewerben sowie bei Rundfunk oder CD-Produktionen.
Ihre Werke wurden präsentiert und vorgestellt im Deutschlandfunk (Atelier Neue Musik), WDR 3 und SWR 2. Der SWR, DLF, NDR 2 und der BR sendeten 2013/14 das Hörspiel Fünfkind.
Christina C. Messner wird gefördert vom Landesmusikrat NRW, der Kunststiftung NRW, dem Kultursekretariat NRW und den Städten Köln, Düsseldorf, Duisburg. Sie erhält Aufträge von Solisten und Ensembles für Multi-Mediale Gesamtprojekte, Kammermusik und Ensemblewerke.