Die Preisträger:innen

2023
Maike Zimmermann für „Hybrid Autoharp: Video Wanderings, New York, 2022“

Faszinierender Video-Spaziergang durch New York – Maike Zimmermann erhält den JukeBoxx NewMusic Award 2023

Maike Zimmermann. Foto: Peter Kelleher, London

Maike Zimmermann. Foto: Peter Kelleher, London

Zum neunten Mal haben die Christoph und Stephan Kaske Stiftung und die neue musikzeitung den JukeBoxx New­Music Award ausgeschrieben. Der mit insgesamt 4.000 Euro dotierte Preis richtet sich an Komponistinnen und Komponisten, Künstlerinnen und Künstler im Bereich der klassischen Gegenwartsmusik und Medienkunst. Der JukeBoxx NewMusic Award geht im Jahr 2023 an die Medienkünstlerin Maike Zimmermann für Ihre Arbeit „Hybrid Autoharp: Video Wanderings, New York, 2022“.

Geboren in Bremen, Deutschland, zog Maike Zimmermann in den 1990er Jahren nach London, wo sie zunächst Französisch studierte und dann zur visuellen Kunst mit Schwerpunkt auf Fotografie wechselte. Heute lebt sie in Berlin und zeitweise in London und Bremen und erstellt experimentelle Filme, Videoinstallationen, fotografische oder standortspezifische Arbeiten und audiovisuelle Performances (Live-Cinema), bei denen sie entweder allein oder mit Musikern (Rainer Schütz, DE), Komponisten (Dan Siegler, USA) oder Klangkünstlern (Jason Singh, UK, Alois Spaeth, DE) zusammenarbeitet. Sie hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen und Künstlerresidenz-Programmen teilgenommen darunter in Barcelona, Berlin, London, Helgeland (Norwegen), New York, Reykjavik und Stockholm.

In Zimmermanns Arbeiten werden häufig traditionelle filmische Techniken mit experimentellen und zeitgenössischen Praktiken kombiniert. „Maike Zimmermann gelingt es“, so die Jury in ihrer Begründung zu ‚Hybrid Autoharp: Video Wanderings, New York, 2022‘, „durch die Kombination von repetitiven, an- und abschwellenden Klangflächen der verfremdeten Autoharp mit Bildüberlagerungen von alltäglichen New Yorker Straßenszenen mit spiegelnden Hochhausfassaden einen beinahe meditativen Strom zu erzeugen. Dieser lässt uns immersiv in den Kontrast aus Verfallenem und gegenwärtigem Hochglanz der Metropole eintauchen, während wir der permanenten Herausforderung gengenüber stehen, die immer dichteren Texturen zu dechiffrieren.“

 

Maike Zimmermanns künstlerische Praxis erforscht die Schnittstelle zwischen bewegtem Bild, Sound, Fotografie und Konzepten der Narration hauptsächlich im Rahmen von LiveCinema, expanded Cinema, Medienkunst und ortsspezifischen Arbeiten. Basierend auf anthropologischen, sozioökonomischen Themen, die sich aus Feldforschung, persönlichen Reiseerfahrungen, spezifischen Orten und individuellen Geschichten entwickeln, kombiniert ihre Arbeit Erzählungen von urbanen/ländlichen/sozialen Räumen mit Psychogeografie, Alltagsleben, kultureller Kommunikation und der Fragilität unserer (natürlichen) Welt.

2022
Karsten Wiesel und Neo Hülcker für „Notturno mit Gewächshaus und abwesendem Ensemble“

Der JukeBoxx NewMusic Award 2022 geht mit je 2.000 Euro an den Filmemacher Karsten Wiesel und den Komponisten Neo Hülcker für ihre Arbeit „Notturno mit Gewächshaus und abwesendem Ensemble“.

Ursprünglich hatte der Filmemacher Karsten Wiesel Dokumentationen der corona-ausgefallenen Konzerte des Ensembles L‘art pour l’art gemacht. Den Weg von der Doku zur Medienkunst weiterzugehen, hatte dann die Leiterin des Ensembles, Astrid Schmeling, angestoßen, indem sie Komponist und Filmemacher zusammengebracht hatte. Über diese Zusammenarbeit sagt Karsten Wiesel: „Es begann mit der Idee eines Dickichts. Gemeinsam bahnten wir uns unseren Weg durch Imaginationen von grünem Laubwerk, Verästelungen und Wucherungen und landeten schließlich im Gewächshaus ‚Botanischer Sondergarten Wandsbek‘“.

Vor den Dreharbeiten im botanischen Garten entwickelte Neo Hülcker Stücke für das Ensemble L‘art pour l‘art, deren Proben und Interpretationen dann im Forsthaus in Winsen gefilmt wurden, um sie daraufhin als Projektionsmaterial bei den nächtlichen Dreharbeiten im Gewächshaus zu verwenden. Die nächtliche Stimmung, Geräusche im Gewächshaus, die Arbeit mit künstlichem Licht, die Ruhe beziehungsweise Unruhe dieser besonderen Tageszeit prägten die Ästhetik dieser Film- und Tonaufnahmen. Bild- und Tonspur sind eigenständige Materialien, die neu zusammengesetzt, eine visuell und akustisch hervorragend gestaltete Sinnesbefüllung in besonderer nächtlicher Kulturnatur entstehen ließen.

2021
Patricia Martínez für „Vida“

Die Wahl fiel die Wahl auf die argentinische Komponistin Patricia Martìnez für ihre Komposition „Vida“ (2020/21), ein binaurales, visuelles und immersives Werk, das aus Anlass der gro­ßen Waldbrände in Brasilien im Jahr 2019 entstand. Martínez will damit anregen, über die Einflüsse des Menschen auf den heutigen Planeten Erde, aber auch über eine posthumane Welt neu nachzudenken. Die Musik entstand durch Aufnahmen von natürlichen Klängen und deren elektronische Verarbeitung. Die Visuals steuerte Luis Paris bei. Sein Beitrag zu „Vida“ ist eine Fortsetzung seiner Serie von Installationen unter dem Titel „Frequencies“. Verschiedene Frequenzen ergeben unterschiedliche Landschaften und Horizonte. Martínez’ visuelle Musik verändert die Bilder durch den Klang: Stille bedeutet Leere und Dunkelheit. Stille kann aber auch zu Licht und Natur führen.

Patricia Martínez überzeugte die Jury durch ihre Spielart engagierter Videokunst, in der sie „aktuelle Umwelt- und soziologische Themen anspricht. Die Arbeit besticht durch Konsistenz, Bild-Rhythmus und schlichte Eleganz. Das exakt komponierte Ineinanderwirken von Musik und Bild-Animation schafft ein eigenständiges Werk. Man würde sich wünschen, ‚Vida‘ als hochauflösende Projektion in großen Räumen zu erleben.“

2020
Juan J. Ochoa für „IN PROGRESS“.

Sage und schreibe 37 Teilnehmer – so viele Medienkünstler und Komponisten hatten sich noch nie für den seit 2014 existierenden und mit 3.500 Euro dotierten JukeBoxx NewMusic Award der Christoph und Stephan Kaske Stiftung und der neuen musikzeitung beworben. Die Jury machte sich die Aufgabe nicht leicht, unter den zahlreichen hochkarätigen Einsendungen eine Arbeit zu küren. Nach intensiver Diskussion fiel die Wahl auf den spanischen Komponisten Juan J. Ochoa.

Sein Film „IN PROGRESS“, der in Zusammenarbeit mit der Medienkünstlerin Marta Azparren und dem Toningenieur Albert Carreras entstanden ist, beschreibt Ochoa selbst als „Eine anatomische Reise durch die innere Architektur eines Pianos und eines Pianisten“. Die Jury findet, dass Ochoas herausragende Arbeit exemplarisch für eine gelungene Partnerschaft zwischen Komposition und Medienkunst steht. Ochoa und Azparren verbinden experimentelle Musik mit Filmkunst, ohne auf der dokumentarischen Ebene zu verharren. „Es gelingt ihnen“, so die Jury, „den repetitiven Charakter der Musik in perfekt inszenierte Makroaufnahmen zu transformieren. Die Verflechtung verschiedener Texturen von Mensch und der Maschine ‚Klavier‘ erzeugt so ein surreales und teils beklemmendes Bild.“ Eine öffentliche Preisverleihungszeremonie ist aufgrund der Covid-19-Pandemie derzeit nicht vorgesehen.

2019
Maxim Seloujanov für „Infiorata“.

Seloujanov studierte Komposition am Salzburger Mozarteum in der Klasse von Boguslaw Schaeffer. Sein vielfältiges künstlerisches Schaffen zeichnet sich durch eine Zugehörigkeit zu verschiedenen kulturellen Räumen aus. In seinem Werk bezieht er sich sowohl auf die russische Kultur als auch auf Errungenschaften der westlichen Avantgarden. Seine Werkliste umfasst hunderte Musikwerke verschiedener Gattungen, zahlreiche Bilder, visuelle und multimediale Arbeiten. Maxim Seloujanovs videopoetisches Werk „Infiorata“ widmet sich dem Thema Umwelttransformation, Entität und Gender in der Musik.

Maxim Seloujanov überzeugte die Jury durch seine Spielart engagierter Videokunst, in der Poesie auf Tagespolitik trifft und Instrumentalmusik auf moderne Filmtechnik. Seloujanovs originelle Verwendung und Kombination bildnerischer, grafischer, filmischer und musikalischer Bilder und Musik erzeugen den Eindruck großer Lebendigkeit und Frische. Seloujanovs Musik für die Geigerin Weiping Lin und den Cellisten Arne Kircher ist ähnlich markant wie seine Bildsprache. Naives trifft auf Komplexes und wird in der technischen Realisierung durch Jüri Sorokin auf den Moment genau mit der Bildhandlung synchronisiert. Obwohl die einzelnen visuellen Effekte, ebenso wie die musikalischen Parameter, durchgehend als bekannt und wenig spektakulär zu bezeichnen sind, ist die Wirkung von Maxim Seloujanovs Videopoesis „Infiorata“ stets neu und voller überraschender Wendungen.

2018
Alexander Derben für „Wasserwerk“

Alexander Derben, geboren am 18.12.1966, ist Gitarrist, Komponist und Videokünstler.

Er leitet das Freie Tonstudio Bremen und ist seit 2014 Leiter der Konzertreihe „Space Attack“, jüngst in Kooperation mit dem Atelier für Neue Musik im Rahmen der Bremer Hausmusikwoche, HfK Bremen. Aktuell unterrichtet er an der Musikschule Bremen (Fachbereich Computermusik) im Rahmen des Bundesweiten Bildungsprojektes „Kultur macht stark“.

Alexander Derbens Komposition „Wasserwerk“ basiert auf Slow Motion-Videoaufnahmen eines mit Wasser bespülten Glases sowie einer Zeitrafferaufnahme von vorbeiziehenden Wolken. Für die musikalische Umsetzung kam ausschließlich ein präpariertes Klavier zum Einsatz, dessen mit Sticks und Mallets gespielte Klänge im Granularsyntheseverfahren zu einer audiovisuellen Komposition verarbeitet wurden.

„Wasserwerk“ ist Teil eines fünfteiligen audiovisuellen Werks mit programmatischem Inhalt: Das Gesamtkonzept bezieht sich auf die Lehre der 5 Elemente, die daoistische Theorie zum Lebenskreislauf in der Natur. Die suggestive Musik ist bezogen auf das außermusikalische Thema und wird detailreich ausgearbeitet. Die Geräusche der Aufnahmen wurden teilweise in der Komposition musikalisch verwertet, der Bildschnitt folgt häufig der Musik. Derben erzielt dabei mit geringem technischem Aufwand hohe filmische Qualität. Alle Videobilder sind mit einem iPhone 8 in 1080p aufgenommen, meist im Slow Motion Modus. Das eingesetzte Instrument war ein präpariertes Klavier von Wilhelm Biese (Bj. 1925), überwiegend perkussiv bespielt.

Derben überzeugte die Jury durch seine eigenständige, poetische Arbeit, die von feiner Dynamik in Schnitt und Komposition geprägt ist. Sein Werk ist trotz komplexer Machart sowohl dem zusehenden Musiker als auch dem hörenden Videokünstler zugänglich. Die visuellen Effekte sind teils gängig, teils überraschend. Musik und Video entwickeln sich gleichberechtigt und in so stimmiger Verknüpfung, dass die Jury ihm dafür einstimmig den JukeBoxx NewMusic Award 2018 verlieh.

2017
Andreas Eduardo Frank

Andreas Eduardo Frank, geboren 1987, ist Komponist, Medienkünstler und Performer. Er studierte an der HFM Würzburg sowie am elektronischen Studio der Musikhochschule Basel. Sein Oeuvre ist vielseitig und geprägt durch die enge Zusammenarbeit mit anderen jungen Musikern und Künstlern auf internationaler Ebene. Frank arbeitet in seinen Werken an der Schnittstelle zwischen real und virtuell, zwischen Musik, Performance, Video und Theater.

In „Between Me and Myself V“ für Saxophon, Video & Electronics versteht es Andreas Eduardo Frank auf raffinierte Weise, eine sehr genaue Verknüpfung von Rhythmus, Klangentwicklung, Performance und live getriggertem Videobild visuell darzustellen. Der Betrachter fragt sich beständig: Was löst diese Entwicklung aus, der Ton oder das Bild oder die Bewegung?

Frank spielt mit Originalton, Echo und Kopie und lotet mit einfachen filmtechnischen Mitteln, aber dennoch auf vielfältige und abwechslungsreiche Weise seine schnitttechnischen Möglichkeiten aus. Ausgangspunkt ist die Video- und Audioaufnahme des zugrundeliegenden musikalischen Materials. Diese wird durch den Filmschnitt zu gleichermaßen optischen wie akustischen Bausteinen, aus deren Neuorganisation heraus wiederum eine neue, komplexere Bild- und Klangebene entsteht. Aus Musik wird Bild wird neue Musik mit neuem Bild. So denkt er die Bild- und Tonebenen ganz konsequent gemeinsam: Raumklang und bildliche Wahrnehmung korrespondieren ebenso wie beispielsweise der visuelle und akustische Rhythmus des Stücks.

Frank überzeugte die Jury durch die fantasievolle und unterhaltsame  Ausarbeitung seiner musikalisch-visuellen Idee. Großen Anteil daran hat der virtuos agierende Saxophonist und Live-Performer Pedro Pablo Camara, der Zuhörer und Zuschauer immer aufs Neue überraschend mitnimmt in die sich immer weiter auffächernden komplexen Strukturen von Andreas Eduardo Franks Komposition.

2015
Carlos de Castellarnau

Nach über 40 internationalen Bewerbungen und einem strengen Auswahlverfahren in den digitalen Medien haben sich die Stiftungsbeiräte Konstantia Gourzi, Minas Borboudakis, Theo Geißler und Andreas Kolb darauf geeinigt, den JukeBoxx NewMusic Award 2015 an den spanischen Komponisten Carlos de Castellarnau zu vergeben.

Carlos de Castellarnau erhält den mit 3.500 Euro dotierten Preis für sein Werk „Fix­acions II“,­ gespielt vom Crossing Lines Ensemble und zu sehen auf Facebook unter „JukeBoxx NewMusic Award“. Unter Verzicht auf elektronische Mittel verbindet hier de Castellarnau fragmentarische, mikromotivische Klangereignisse mit einem dramatischen, rhythmisch forcierten Gestus. Brachiale Klangverdichtungen wechseln sich mit zarten Intermezzi ab. Plastische Klanglichkeit bis hin zum kleinsten Detail und heterogene Strukturen wie in „Fix­acions II“ ziehen sich durch das gesamte Schaffen des Preisträgers.

Carlos de Castellarnau wurde 1977 in Tarragona, Katalanien, geboren und begann sein Musikstudium zunächst als Autodidakt. 2002 nahm er ein Gitarrenstudium am Conservatori de Vilaseca auf, um anschließend bei Ramon Humet und später bei Agustí Charles Komposition zu studieren. Castellarnau besuchte Meisterklassen bei Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino, José María Sánchez-Verdú, Hèctor Parra und Aureliano Cattaneo.